Das unentdeckte Land – Die Reise zu einer gereiften Persönlichkeit
Notizen zum Vortrag von Primar Dr. Michael Merl (Vorstand der Kinder- und Jugendpsychiatrie Kepleruniklinikum)im Rahmen des Bundeslehrertages Linz von der Fraktion ÖLI-UG im Volkhaus Dornach am 1. März 2023
Das Volkshaus war gesteckt voll. Dr. Merl, selbst Vater von sechs Kindern präsentierte den Pädagog*innen eine Sammlung von evidenzbasierten Erkenntnissen und Beobachtungen aus der Praxis über den derzeitigen psychischen Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen und wie diese damit umgehen können.
1,63 Mio. Kinder und Jugendliche leben derzeit in Österreich. 9 % von ihnen sind psychisch erkrankt. Durch Corona ist der Anteil signifikant gestiegen. Seit drei Jahren kommen die Kinder und Jugendlichen nicht mehr aus den diversen Krisen heraus. Viele von Ihnen sind aus der Bahn geworfen worden. Die Suizid-Versuche sind stark angestiegen. Die Altersgrenze der psychischen Probleme hat sich von 14 auf 11 Jahre nach unten verschoben. Das trifft genau in einen Alterszeitraum, wo die synaptischen Verbindungen, die für die Persönlichkeitsentwicklung und das Lernen ganz wichtig sind, noch nicht gefestigt sind.
Die Jugendlichen brauchen Bezugspersonen, an die sie sich wenden können, die sie ermutigen, ihnen Zeit schenken, wertschätzend mit ihnen umgehen. Die Schule soll ein Ort der Persönlichkeitsentwicklung sein. Es braucht ein gutes Krisenmanagement in der Schule und nicht irgendwo außerhalb. Dort, wo die Probleme entstanden sind, sollen sie auch gelöst werden. Schulpsychologen (aber auch Peer-Mediator*innen) können hier eine große Hilfe sein. Es sollte zuhause und in der Schule eine angst- und stressfreie Atmosphäre geschaffen werden. Bindungspersonen Eltern wie Lehre*innen können Angst und Stress reduzieren. Es sollte das kreative Chaos vor Effizienz herrschen. Jugendliche brauchen Menschenketten (Eltern, Lehrer*innen, Freund*innen …), die sie nach einer Brandungswelle wieder ans Ufer bringen. Die Schule soll ein Trainingsfeld für die soziale Entwicklung sein, deswegen war das Homeoffice vielfach eine Katastrophe für die Kinder und Jugendlichen. Schule ist als zentraler Ort des Leben Lernens, noch viel wichtiger als früher. In Tirol wurde sogar ein eigenes Schulfach „Psychosoziale Gesundheit“ eingeführt.
Zuhause braucht das Kind ein Nest. Kinder unter drei Jahren sollten das Nest (in eine Kinderkrippe) nicht verlassen müssen. Es braucht gerade in dieser Zeit die Familie, ein Großgruppensetting ist nicht wünschenswert. Das Kind, der Jugendliche braucht Bindung. Die kann auch nachgeholt werden. Die Kinder brauchen stabile Verhältnisse, sowohl zuhause als auch in der Schule. Gerade, wenn sie aus dem Lot sind, ist das umso wichtiger. Das Vorleben der Eltern spielt dabei eine wichtige Rolle.
An die Politik richtet Merl die Forderung, dass sie Bedingungen schafft, dass Eltern finanziell nicht unter Druck stehen.
Was brauchen Kinder und Jugendliche?
- angenommen sein,
- gute, tragende Beziehungen,
- Gesprächspartner, die sie verstehen,
- Reflexion, bei der auch gesagt werden kann, wenn etwas nicht so gepasst hat,
- sich selbst erkennen, was durch Achtsamkeit gut gelingen kann,
- förderliche Werthaltungen,
- tragende Beziehungen in der Familie und in der Schule ,
- Werkzeuge der Kreativität,
- Freundschaften,
- Respekt vor Entscheidungen und keine Herabwürdigungen,
- Wohlwollen,
- Fehlermachen muss erlaubt sein,
- Geduld und Vertrauen.
Fazit: ein gelungener Vortrag, mit teils bekannten, aber auf alle Fälle pädagogisch richtigen und wichtigen Aussagen, die man nicht oft genug hören kann.